BAG: Arbeitgeber muss Hinweispflicht nachkommen
Das Bundesarbeitsgericht hat in zwei Entscheidungen vom 20.12.2022 seine Rechtsprechung zur Hinweispflicht des Arbeitgebers im Hinblick auf bestehende Urlaubsansprüche weiterentwickelt. Dies hat Auswirkungen auf die Verjährung und den Verfall von Urlaubsansprüchen. Arbeitgeber sind nun – auch zum Schutz der eigenen Interessen – zum Handeln aufgefordert.
Gem. § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) geht nicht genommener Urlaub unter, wenn er nicht im laufenden Kalenderjahr genommen wird. Eine Ausnahme besteht, wenn der Urlaub aus dringenden betrieblichen oder persönlichen Gründen nicht genommen werden konnte. In diesem Fall verfällt er, sofern nicht anderweitig vereinbart, am 31.03. des Folgejahres.
I.) Hinweispflichten des Arbeitgebers
Die Regelung des § 7 Abs. 3 BurlG zur Frage des Verfalls bzw. der Übertragbarkeit von Urlaubsansprüchen über das laufende Kalenderjahr hinaus war in den vergangenen Jahren bereits mehrfach Gegenstand von Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) sowie dem Bundesarbeitsgericht (BAG). Durch Entscheidungen aus dem Jahr 2019 hatte das BAG – der Rechtsprechung des EuGH folgend – bereits mehrfach entschieden, dass der Anspruch, zumindest auf den gesetzlichen Mindesturlaub, nur dann erlischt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Begründet wurde dies mit einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 BurlG mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG.
Hierbei hat das BAG hohe Anforderungen an den Arbeitgeber gestellt. Dieser müsse konkret und in völliger Transparenz dafür sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Das könne der Arbeitgeber z. B. tun, indem er jedem Arbeitnehmer einzeln am Anfang eines Kalenderjahres in Textform oder sonst in geeigneter Weise schriftlich oder per E-Mail mitteilt, wie viele Urlaubstage ihm in dem betreffenden Kalenderjahr (noch) zustehen, ihn auffordert, den Urlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass er innerhalb des laufenden Urlaubsjahres genommen werden kann, und ihn darüber informiert, dass der Urlaub verfällt, wenn er nicht rechtzeitig genommen wird. Mitgeteilt werden muss ggf. auch, ob Urlaub aus dem Vorjahr bzw. Vorjahren übertragen worden ist, um wie viele Tage es sich handelt und wann dieser Urlaub verfällt (BAG v. 19.02.2019 – Az. 9 AZR 423/16.)
Aufgrund dieses Urteils ist davon auszugehen, dass ein allgemeines Merkblatt oder eine E-Mail, die sich pauschal an alle Mitarbeiter richtet, den Anforderungen des BAG nicht genügt. Vielmehr wird erforderlich sein, dass jedem Arbeitnehmer individuell mitgeteilt wird, wieviel Urlaub ihm zusteht und wie dieser Urlaub verfällt. Ist die entsprechende Information nicht oder nicht in der richtigen Form erteilt worden, erlischt der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers nicht, sondern wird im Folgejahr fortgeschrieben.
II.) Folgen unterbliebener Hinweispflichten auf die Verjährung und den Verfall von Urlaubsansprüchen
Diese Rechtsprechung zur Hinweispflicht des Arbeitgebers hat das BAG in zwei jüngst ergangenen Entscheidungen vom 20.12.2022 (Az. 9 AZR 266/20 und Az. 9 AZR 245/19) hinsichtlich der Auswirkungen auf die Verjährung und den Verfall von Urlaubsansprüchen weiterentwickelt.
Während Arbeitgeber sich bislang häufig darauf verließen, dass Urlaubsansprüche ihrer Mitarbeiter spätestens nach drei Jahren verjährten, ergibt sich aus der aktuellen Rechtsprechung des BAG, dass Urlaubsansprüche nicht automatisch nach drei Jahrenverjähren. Zwar unterliegt der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Urlaub der gesetzlichen Verjährungsfrist von drei Jahren. Allerdings beginnt die dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB) erst am Ende des Kalenderjahres, in dem der Arbeitnehmer vollständige Kenntnis über den ihm zustehenden Urlaubsanspruchhat, § 199 Abs. 1 BGB. Das BAG sieht diese Kenntnis des Arbeitnehmers in den Entscheidungen vom 20.12.2022 nur dann als gegeben an, wenn der Arbeitgeber seinen Hinweispflichten ordnungsgemäß nachgekommen ist, also den Arbeitnehmer zuvor über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.
Gleiches gilt nun auch für den Verfall von Urlaubsansprüchen bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit. Nach bisheriger Rechtsprechung des BAG gingen die gesetzlichen Urlaubsansprüche im Fall der fortdauernden Arbeitsunfähigkeit ohne weiteres mit Ablauf des 31. März des zweiten Folgejahres („15-Monatsfrist“) unter. Diese Rechtsprechung hat der Senat in Umsetzung der Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs aufgrund der Vorabentscheidung vom 22.09.2022 (C-518/20 und C-727/20), ebenfalls weiterentwickelt.
Danach verfällt weiterhin der Urlaubsanspruch mit Ablauf der 15-Monatsfrist, wenn der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres aus gesundheitlichen Gründen daran gehindert war, seinen Urlaub anzutreten. Für diesen Fall kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist, weil diese nicht zur Inanspruchnahme des Urlaubs hätten beitragen können. Anders verhält es sich jedoch, wenn der Arbeitnehmer im Urlaubsjahr zunächst gearbeitet hat, bevor er krankheitsbedingt arbeitsunfähig geworden ist. Auch in dieser Fallkonstellation muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit in die Lage zu versetzt haben, seinen Urlaub auch tatsächlich zu nehmen. Ist der Arbeitgeber seiner Hinweispflicht vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers in dem betreffenden Kalenderjahr nicht nachgekommen, erlischt der Urlaubsanspruch nicht mit Ablauf der 15-Monatsfrist, sondern besteht darüber hinaus fort.
III.) Auswirkung der aktuellen Entscheidungen und Handlungsempfehlung
Die Entscheidungen des BAG vom 20.12.2022 führen dazu, dass Ansprüche auf Resturlaub oder Urlaubsabgeltung nicht mehr ohne weiteres nach drei Jahren verjähren bzw. in den Fällen langandauernder Krankheit nicht ohne weiteres mit Ablauf der 15-Monatsfrist verfallen, sondern auch noch Jahre später – ggf. sogar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses – geltend gemacht werden können, sofern eine umfassende und transparente Information durch den Arbeitgeber nicht erfolgt ist.
Wie sich diese Entscheidungen in der Praxis auswirken werden, insbesondere auch hinsichtlich der Modelle von Vertrauensarbeitszeit, in denen Arbeitnehmer ihren Urlaub mehr oder weniger frei festlegen können, lässt sich aktuell noch nicht abschließend beurteilen. Auch wird darüber nachzudenken sein, ob ggf. Rückstellungen für bereits verfallen bzw. verjährt geglaubte Ansprüche zu bilden sind.
Arbeitgebern ist dringend zu empfehlen, zu Beginn des kommenden Kalenderjahres sowie auch in allen Folgejahren nach den Vorgaben des BAG alle Arbeitnehmer individuell über die bestehenden Alt- und Neuurlaubsansprüche zu unterrichten.
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