Gasrationierung für Unternehmen?

Während durch die Kurzfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnung (kurz „EnSikuMaV“) seit dem 01. September 2022 schon umfassende rechtliche Pflichten für Unternehmen zur Einsparung von Energie existieren, mangelt es gegenwärtig (Stand 14.09.22) noch an einem rechtlich verbindlichen, detaillierten und konkreten Handlungskonzept zu der Frage, wie im Falle der Knappheit das Gas unter den deutschen Marktteilnehmern zu verteilen ist.

I. Der Notfallplan Gas

Am 30. März 2022 wurde die Frühwarnstufe und am 23. Juni 2022 die Alarmstufe ausgerufen. Die Bundesrepublik hat die Möglichkeit, insgesamt drei verschiedene Krisenstufen im Rahmen des sogenannten Gasnotfallplans auszurufen:

  • die Frühwarnstufe,
  • die Alarmstufe und
  • die Notfallstufe.

 

Welche Kriterien vorliegen müssen, damit eine der Stufen ausgerufen werden kann, ist europäisch durch Art. 11 Absatz 1 der sogenannten SoS-Verordnung bestimmt.

1. Frühwarnstufe: Es liegen ernst zu nehmende Hinweise darüber vor, dass ein Ereignis eintreten kann, das zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage führt.

​2. Alarmstufe: Eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas oder eine Störung der Gasversorgung liegt vor, die zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgung führt. Der Markt ist noch in der Lage, die Störung oder Nachfrage zu bewältigen.

3. Notfallstufe: Diese Stufe ist schließlich dann erreicht, wenn eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas, eine erhebliche Störung der Gasversorgung oder eine andere erhebliche Verschlechterung der Versorgungslage vorliegt und alle einschlägigen marktbasierten Maßnahmen umgesetzt wurden, die Gasversorgung aber dennoch nicht ausreicht, um die verbleibende Gasnachfrage zu decken. Von diesem Moment an kann die Bundesnetzagentur hoheitliche Maßnahmen ergreifen.

 

II. Ist eine Gasrationierung zum Nachteil der Unternehmen in der Notfallstufe möglich?

Eine gesetzliche Versorgungspflicht besteht grundsätzlich nur für „geschützte Kunden”. Das sind

1. Haushaltskunden sowie „Letztverbraucher“ (das sind Kunden, die Energie     überwiegend für den Eigenverbrauch im Haushalt benötigen oder deren            Verbrauch für berufliche, landwirtschaftliche oder gewerbliche Zwecke einen      Jahresverbrauch von 10 000 kWh nicht übersteigt; zum Vergleich: ein Reihenhaus mit 180 m² verbraucht durchschnittlich im Jahr ca. 20 000 kWh),

2. Unternehmen oder Dienste aus den Bereichen Gesundheitsversorgung, grundlegende soziale Versorgung, Notfall, Sicherheit, Bildung oder öffentliche Verwaltung,

3. Fernwärmeanlagen, soweit sie Wärme an Kunden im Sinne der beiden vorgenannten Punkte liefern, an ein Erdgasverteilernetz oder ein Fernleitungsnetz angeschlossen sind und keinen Brennstoffwechsel vornehmen können, und zwar zu dem Teil, der für die Wärmelieferung benötigt wird.

Folglich sind im Falle des Ausrufs der Notfallstufe viele Unternehmen ungeschützte Kunden und als solche von Anordnungen der Bundesnetzagentur potenziell betroffen. Solche Anordnungen könnten wie folgt aussehen:

  • Anordnung an Großverbraucher, ihren Gasverbrauch zu reduzieren,
  • Anordnung an Gasversorger zur Abschaltung von einzelnen Industriekunden sowie ganzer Gasnetze,
  • Anordnung an Gasversorger in einer bestimmten Region alle Industriebetriebe,      beispielsweise der Automobilbranche einschließlich Zulieferern, nicht mehr mit Gas zu versorgen,
  • Anordnungen an Gasspeicherbetreiber zur erhöhten Gasausspeicherung.

 

III. Nach welchen Kriterien kann eine Gasrationierung zwischen den verschiedenen        Unternehmen erfolgen?

Derzeit gibt es noch kein rechtlich verbindliches und detailliertes Handlungskonzept für die Zuteilung von Gas zwischen den ungeschützten Kunden.

Wenn die Bundesregierung heute die Notfallstufe feststellen würde, würde sich die Abwägung der anzuwendenden Maßnahmen voraussichtlich an folgenden Abwägungskriterien orientieren:

  • Dringlichkeit der Maßnahme,
  • Größe der betroffenen Anlage,
  • Vorlaufzeit zur Gasbezugsreduktion,
  • zu erwartende wirtschaftliche Schäden sowie
  • Bedeutung für die Versorgung der Allgemeinheit.

 

IV. Wie können sich Unternehmen gegen Entscheidungen der Bundesnetzagentur zur Wehr setzen?

Wie der Rechtsschutz aussehen wird, hängt maßgeblich davon ab, wie die Bundesnetzagentur handelt. Gegen Verfügungen der Bundesnetzagentur, die als Verwaltungsakt ergehen würden, ist nach dem Energiewirtschaftsgesetz das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf zuständig.  Eine gerichtliche Überprüfung der Verwaltungsakte ist mit der Beschwerde möglich. Hauptsacheverfahren nehmen in der Regel mehrere Monate oder Jahre in Anspruch. Daher wird effektiver Rechtsschutz in der Regel nur im Eilverfahren in Frage kommen.


Im Eilverfahren wägen die Gerichte ab, ob die Entscheidung in der Hauptsache Aussicht auf Erfolg hat und ob ein Abwarten zumutbar ist. Die Gerichte prüfen die Sach- und Rechtslage summarisch und treffen vorläufige Anordnungen. Wer gute Gründe gegen die Entscheidung der Bundesnetzagentur vorbringen kann, ist folglich nicht chancenlos.
 

V. Und wenn ich als Unternehmen eine Entscheidung der Bundesnetzagentur nicht abwarten will?

Wenn ein Abwarten unzumutbar ist, kann in engen Ausnahmefällen auch eine vorbeugende Abwehr (also bevor eine Entscheidung der Bundesnetzagentur gefallen ist) gerichtlich beantragt werden. Dies ist insbesondere der Fall, wenn ein nicht mehr ausräumbarer oder sonst nicht mehr wiedergutzumachender Schaden droht.

In bestimmten Fällen kann es zudem sinnvoll sein, die Bundesnetzagentur vorab schriftlich darauf hinzuweisen, warum ein Unternehmen nicht von der Gasversorgung abgetrennt werden darf.  Nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz ist die Bundesnetzagentur nämlich verpflichtet, solche Eingaben bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen. Derartige Eingaben können dann auch später die Chancen in einem gerichtlichen Verfahren deutlich erhöhen. Insbesondere könnte vorgebracht werden, warum das jeweilige Unternehmen von einer Abschaltung besonders schwer betroffen wäre und warum Alternativen (z.B. der Einsatz von Elektrizität oder Ersatzbrennstoffen) für das Unternehmen nicht oder nur eingeschränkt in Betracht kommen.


VI. Der Gasnotfallplan der EU

Nach dem Gastnotfallplan der EU soll der Gasverbrauch der Mitgliedstaaten bis zum kommenden März um 15 % freiwillig reduziert werden.

Sollte dies nicht ausreichen, eröffnet die Verordnung die Möglichkeit, dass die Mitgliedstaaten (mind. 15 von 27 EU-Mitgliedstaaten) gemeinsam einen sogenannten Unionsalarm ausrufen, um alle Mitgliedstaaten zur Senkung der Gasnachfrage verbindlich zu verpflichten.

VII. Gibt es Rechtsschutz gegen die Pläne der EU?

Weil die Verordnung bei Inkrafttreten des Unionsalarms für Unternehmen zu erheblichen Einschränkungen führen kann, stellt sich die Frage nach Rechtsschutzmöglichkeiten.

Da die EU keine konkreten Verfügungen erlässt oder vorgibt, wird der Rechtsschutz grundsätzlich vor nationalen Gerichten, konkret vor dem OLG Düsseldorf, zu suchen sein. Denn wie die Mitgliedstaaten Gas einsparen, bleibt weiterhin ihnen überlassen. Das kann sich ändern, sollte die EU die Gasverteilung in den Mitgliedstaaten zukünftig in vollem Umfang selbst regeln. Dann wäre eine Nichtigkeitsklage vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG) möglich.

Ihre Ansprechpartner: 

Prof. Dr. Klaus Krebs 

Prof. Dr. Matthias Schatz 

Matthias Himmelsbach, LL.M.

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